Das Unterhaltsrecht – warum die Reform längst überfällig ist
Mehr als 15 Jahre nach der letzten großen Reform des Unterhaltsrechts hat die Bundesregierung mit dem Eckpunktepapier vom 23. August 2023 und dem Diskussionsentwurf vom 9. Dezember 2024 den Versuch unternommen, das Unterhaltsrecht erneut zu modernisieren. Anders als 2008 sollte diesmal nicht der nacheheliche Unterhalt im Mittelpunkt stehen, sondern der Kindesunterhalt, dessen Struktur an neue Betreuungsmodelle angepasst werden sollte. Auch wenn die Reform mit der Ampelkoalition zunächst gescheitert ist, bleibt der Bedarf an einer grundlegenden Neuregelung bestehen. Das Eckpunktepapier und der Diskussionsentwurf bieten dabei wertvolle Ansätze, die Grundlage für künftige Überlegungen bilden können.
Das derzeitige Unterhaltsrecht basiert noch immer auf dem klassischen Residenzmodell, bei dem das Kind überwiegend bei einem Elternteil lebt und der andere Elternteil ein Umgangsrecht wahrnimmt. Dieses Modell prägt auch die Düsseldorfer Tabelle, deren Bedarfssätze davon ausgehen, dass der umgangsberechtigte Elternteil das Kind nur an jedem zweiten Wochenende und während der Hälfte der Schulferien betreut. In der Lebensrealität vieler Familien sieht es jedoch längst anders aus. Neben das Residenzmodell ist das sogenannte Wechselmodell getreten, bei dem beide Eltern das Kind annähernd zur Hälfte betreuen.
Der Bundesgerichtshof hat hierzu eine unterhaltsrechtliche Lösung entwickelt, die sich in der Praxis bewährt hat, auch wenn sie nicht unumstritten ist. Ein gesetzlicher Regelungsbedarf besteht hier daher nur in begrenztem Umfang. Schwieriger ist dagegen die Behandlung der Fälle, in denen der umgangsberechtigte Elternteil mehr als das klassische Residenzmodell leistet, aber noch keine annähernd gleiche Betreuung erfolgt. Der Lösungsansatz des BGH, über Rückstufungen in den Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle einen Ausgleich zu schaffen, greift hier häufig nicht – insbesondere, wenn ohnehin nur der Mindestunterhalt geschuldet ist. Hier besteht nach einhelliger Auffassung dringender Reformbedarf.
Auch beim Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB, der für nicht verheiratete Eltern gilt, sind Anpassungen erforderlich. Der gegenwärtige Verweis auf den Verwandtenunterhalt erschwert einvernehmliche Lösungen und passt nicht zu den tatsächlichen Lebensverhältnissen in modernen, nichtehelichen Partnerschaften. Der nacheheliche Unterhalt dagegen wurde bereits 2008 grundlegend neu geordnet und hat sich durch die Rechtsprechung weitgehend gefestigt, sodass hier kein akuter Änderungsbedarf besteht.
Reformbedarf beim Kindesunterhalt
Das bestehende System des Kindesunterhalts orientiert sich am klassischen Betreuungsmodell, das in der heutigen Gesellschaft jedoch zunehmend an Bedeutung verliert. Viele getrennt lebende Eltern möchten die während der Beziehung gelebte Aufteilung von Erwerbstätigkeit, Haushalt und Kinderbetreuung auch nach der Trennung fortführen. So entsteht häufig ein Modell, das zwischen Residenz- und Wechselmodell liegt – eine Betreuungsform, für die das geltende Recht bislang keine überzeugende Lösung bietet.
Eine gesetzliche Definition der verschiedenen Betreuungsmodelle wäre daher wünschenswert. Die Rechtsprechung verlangt beim Wechselmodell eine „in etwa gleiche“ Betreuung, lässt aber offen, wo genau die Grenze verläuft. Während manche Gerichte bereits eine Aufteilung von 45 zu 55 Prozent als Wechselmodell ansehen, lehnen andere dies ab. Klarheit könnte ein Gesetz schaffen, das die Betreuungsanteile präzise erfasst und deren unterhaltsrechtliche Folgen eindeutig festlegt.
Das im Eckpunktepapier vorgesehene Rechenmodell zum erweiterten Umgang überzeugt nicht. Eine derart komplizierte Berechnung würde die Praxis unnötig belasten, ohne einen spürbaren Gerechtigkeitsgewinn zu bringen. Stattdessen braucht es pauschalierte Lösungen, die den Regelfall klar erfassen, ohne jeden Einzelfall mathematisch zu zergliedern.
Sinnvoll wäre, eine unterhaltsrechtlich relevante Mitbetreuung erst ab einem Drittel der Gesamtbetreuung anzuerkennen. Bei einem Betreuungsanteil von über 45 Prozent könnte dann ein symmetrisches Wechselmodell angenommen werden. Im Bereich dazwischen – dem sogenannten asymmetrischen Wechselmodell – sollte eine pauschale Reduzierung des Barunterhalts um 15 Prozent erfolgen, um den zusätzlichen Betreuungsaufwand des Umgangselternteils auszugleichen. Diese Lösung ist einfach, praxistauglich und führt zu mehr Rechtsklarheit.
Mehr- und Sonderbedarf, Verfahrensfragen und Gleichstellung im Unterhaltsrecht
Auch beim Mehr- und Sonderbedarf sieht die Unterhaltskommission Regelungsbedarf. Der Zusatzbedarf eines Kindes sollte als Teil des Unterhalts gelten, wenn er sachlich begründet, wirtschaftlich zumutbar und nicht bereits in den Bedarfssätzen enthalten ist. Für diesen Zusatzbedarf sollen grundsätzlich beide Eltern entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit haften – mit der Möglichkeit, bei erheblichem Einkommensgefälle eine Alleinhaftung des Besserverdienenden anzunehmen.
Darüber hinaus sollte das Verfahren zur Geltendmachung von Kindesunterhalt vereinfacht werden. Bei gemeinsam betreuenden, verheirateten Eltern ist derzeit die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich, um den Unterhalt durchzusetzen. Künftig sollte jeder Elternteil berechtigt sein, den Kindesunterhalt im Namen des Kindes gegenüber dem anderen Elternteil geltend zu machen – auch im symmetrischen Wechselmodell. Das schafft Klarheit und vermeidet unnötige Verfahrenshürden.
Reform des Getrenntlebensunterhalts
Der Getrenntlebensunterhalt soll den wirtschaftlich schwächeren Ehepartner während der Trennungszeit absichern. Doch das derzeitige Recht mit seinem strikten Verzichtsverbot gilt als überholt. Es verhindert häufig einvernehmliche Regelungen und fördert stattdessen langwierige Verfahren. Künftig sollte es möglich sein, notariell beurkundete Vereinbarungen über den Getrenntlebensunterhalt zu treffen. Dabei könnten zeitliche Grenzen festgelegt werden – etwa, dass ein Verzicht erst nach dem zweiten Trennungsjahr zulässig ist. So bleibt der Schutz des wirtschaftlich Schwächeren erhalten, während zugleich mehr Gestaltungsfreiheit entsteht.
Betreuungsunterhalt und Eigenverantwortung
Beim Betreuungsunterhalt für nicht verheiratete Eltern (§ 1615l BGB) besteht ebenfalls Änderungsbedarf. Die Kommission schlägt vor, den eigentlichen Betreuungsunterhalt in einer eigenständigen Vorschrift zu regeln und dabei zwischen gefestigten und losen Beziehungen zu unterscheiden. In einer verfestigten Lebensgemeinschaft sollte sich der Unterhalt an den beiderseitigen Lebensverhältnissen orientieren – ähnlich dem Ehegattenunterhalt. Bei flüchtigen Beziehungen dagegen soll die Lebensstellung des betreuenden Elternteils maßgeblich sein. Um besonders schutzwürdige Elternteile zu sichern, soll in diesen Fällen ein Verzichtsverbot für das erste Lebensjahr des Kindes gelten.
Leistungsfähigkeit und Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen
Auch die Frage der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen bedarf einer Klarstellung. Die gesteigerte Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB sollte nur gelten, wenn der Mindestbedarf des Kindes betroffen ist. Die pauschalen Selbstbehaltssätze – insbesondere hinsichtlich der Wohnkosten – haben sich bewährt und sollten beibehalten werden. Eine regionale Differenzierung anhand der Wohngeldtabellen würde die Berechnung nur komplizierter machen und zu einer Vielzahl von Abänderungsverfahren führen.
Fazit zum neuen Unterhaltsrecht
Das Unterhaltsrecht betrifft Millionen von Familien und ist eines der sensibelsten Rechtsgebiete überhaupt. Nach Ansicht der Unterhaltskommission ist eine Reform überfällig. Es braucht klare gesetzliche Definitionen, einfache Pauschalierungen und praxistaugliche Lösungen, die den heutigen Familienformen gerecht werden. Detailgenaue Rechenmodelle führen nicht zu mehr Gerechtigkeit, sondern zu mehr Unsicherheit.
Ein modernes Unterhaltsrecht sollte transparenter, gerechter und familiennäher sein – und den Eltern wie den Gerichten die Orientierung geben, die im Familienalltag so dringend gebraucht wird.
Für weitere individuelle Beratung und Fragen zum Thema Unterhalt stehen Ihnen unsere Rechtsanwälte für Familienrecht gerne jederzeit beratend zur Verfügung.
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