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Mithaftung von Motorrad- und Rollerfahrern bei fehlender Schutzkleidung?

Aktuelles im Verkehrsrecht

MITHAFTUNG VON MOTORRAD- UND ROLLERFAHRERN BEI FEHLENDER SCHUTZKLEIDUNG?

Nach einem Unfall im Straßenverkehr hat jeder besseres zu tun, als sich um die Schadensabwicklung zu kümmern. Darauf haben sich die Versicherungen eingestellt und versuchen durch sog. „aktives Schadensmanagement“ die Geschädigten schnell an sich zu binden und möglichst günstig abzufertigen. Die „Hilfe“ erscheint auf den ersten Blick auch willkommen. Jedoch sind auch vermeintlich klare Sachverhalte rechtlich so detailliert, dass Sie immer das Recht haben einen eigenen Anwalt auf Kosten der Gegenseite einzuschalten.

Wie schnell man ohne frühzeitige rechtliche Beratung z.T. immense Ansprüche verschenken kann, zeigen wir Ihnen in unserem aktuellen Newsletter am Beispiel einer typischen Unfallkonstellation. Die Einwände der Versicherung waren auf den ersten Blick nachvollziehbar. Dennoch konnten wir in einem derartigen Fall für unseren Mandanten den vollen Schaden durchsetzen.

I. ERST DURCH SCHADEN WIRD MAN KLUG…

Selbst in den alten Sagen gab es keinen Anzug, der einen hundertprozentigen Schutz vor Verletzungen bietet. Zugegeben: Das Fachhandelssortiment hat sich seit den Zeiten von Achilles und Siegfried deutlich verbessert. Spezialbekleidung mit Protektoren ist für jeden Geldbeutel und in unterschiedlicher Qualität erhältlich. Im Unglücksfall stellt sich demnach die Frage: Welche Bekleidung wäre hier vernünftig gewesen und – soweit sie fehlt – kann man das dem Verletzten anlasten? 

II. …ABER HÄTTE MAN ES VORHER BESSER WISSEN MÜSSEN?

Bekanntlich gibt es eine Helmpflicht für offene Kraftfahrzeuge mit mehr als 20 km/h – normiert in § 21a Abs.2 S.1 StVO. Weitere Schutzkleidung wird hingegen vom Gesetzgeber in Anlage 7 zur Fahrerlaubnisverordnung kurioserweise nur für die Fahrprüfung selbst angeordnet; seit dem 10.12.2020 müssen die Prüflinge zusätzlich zum Helm Motorradhandschuhe, eine eng anliegende Motorradjacke, einen Rückenprotektor (falls nicht in Motorradjacke integriert), eine Motorradhose und Motorradstiefel mit ausreichendem Knöchelschutz tragen. Nach Bestehen der Prüfung wird jedem Fahrer die Wahl der Bekleidung freigestellt.

In Europa darf man davon ausgehen, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht hinreichend vernünftige Regeln aufstellt. Gleichwohl ist der nicht reglementierte Bereich kein Freibrief, um den Kopf auszuschalten. Jeder muss im Alltag diejenige Sorgfalt an den Tag legen, die ein verständiger Mensch im eigenen Interesse aufwendet, um sich vor einem Schaden zu bewahren. Im Juristenlatein spricht hierbei von einem „Verschulden gegen sich selbst“ bzw. von einer Obliegenheit. Verstößt man dagegen in vorwerfbarer Weise, führt dies im Ergebnis zur Kürzung von Schadensersatzansprüchen.

Hier ist ein Obliegenheitsverstoß also nur dann zu bejahen, wenn generell für Kraftradfahrer das Tragen von (bestimmter) Schutzkleidung zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war. Mit anderen Worten tritt eine Mithaftung auch ohne einen Regelverstoß ein, sofern man von der Schwarmintelligenz der betroffenen Verkehrsteilnehmer nachteilig abweicht. Bei einem Motorrad- oder Rollerunfall stellt dieses „allgemeine Verkehrsbewusstsein“ eine Kernfrage bei der Haftungsbestimmung dar.

Nun muss im Zivilrecht grundsätzlich jeder das beweisen, was für ihn vorteilhaft ist. Vorliegend geht es um die Frage eines Obliegenheitsverstoßes, welcher zur Kürzung der Ansprüche des Geschädigten führt. Folglich muss die verantwortliche Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers zunächst aufzeigen, ob überhaupt im konkreten Fall ein allgemeines Bewusstsein zum Tragen von Schutzkleidung bestand. Hat sie das geschafft, muss sie zusätzlich begründet darlegen, dass das fehlende Kleidungsstück die eingetretenen Verletzungen verhindern sollte und auch hätte.

 

III. VERZERRTE ABBILDUNG DER RECHTSLAGE

Trotz der hohen Zahl an schweren Unfällen mit motorisieren Zweirädern sind bislang vergleichsweise wenige Urteile zu diesem Thema publiziert worden, was sich die Versicherungen durchaus zunutze machen.

1. Rechtsprechungsänderung erst seit 2013

Die eingangs erwähnte Dogmatik zum Obliegenheitsverstoß und seinen Rechtsfolgen ist unlängst höchstgerichtlich geklärt. Dennoch wichen Gerichte in der Vergangenheit von der gebotenen Prüfung der einzelnen Punkte ab und unterstellten pauschal eine Mithaftung bei fehlender Schutzkleidung. Zum Teil wurde einfach behauptet, dass Motorradfahrer verletzlich sind und daher grundsätzlich Schutzkleidung zu tragen haben. Andernfalls sei eben eine Mithaftung anzunehmen. Andernorts wurde sogar ganz auf eine Erörterung hierzu verzichtet und die Mithaftung lapidar festgestellt.

Eine Rückkehr zur genauen Prüfung der einzelnen Merkmale des Obliegenheitsverstoßes fand in der veröffentlichten Rechtsprechung zu hiesiger Thematik erst seit 2013 statt. Nach ausführlicher Befassung mit den vorgelegten Erhebungen und Statistiken empfinden es Obergerichte bereits als problematisch, bei Motorradschuhen einen Mindeststandard zu ermitteln. Das Verletzungsrisiko ans sich begründe eben keine Obliegenheit, maximale Vorkehrungen hiergegen zu treffen. Auch seien die verfügbaren Studien und Statistiken nicht repräsentativ genug, um allgemeingültige Aussagen zum Fahrverhalten treffen zu können.

2. Das Verhalten der Versicherer in der Praxis

Obwohl die Rechtsprechung sich in den letzten zehn Jahren geändert hat, wird sie in der einschlägigen Fachliteratur meist unzureichend oder gar falsch wiedergegeben. Weitestgehend wird die veraltete, falsche Ansicht zitiert. Angesichts der Fülle an Einzelproblemen im Verkehrsrecht wird diese Thematik im wahrsten Sinne des Wortes nur am Rande erwähnt, was sich in den verknappten Kommentierungen missverständlich darstellt. Ein flüchtiger Blick verleitet daher selbst Juristen vorschnell zum Eindruck, fehlende Schutzkleidung führe automatisch zur Mithaftung.

Der Stellenwert dieser Frage ist hingegen immens; Kradfahrer erleiden nicht selten schwerste Unfälle mit Dauerfolgen und langwierigen Heilbehandlungen. Die Schmerzensgeldansprüche der Geschädigten selbst bilden bei den Gesamtkosten nur die Spitze des Eisbergs. Im Hintergrund stehen hohe Regressforderungen der Kranken- und Sozialversicherer. Daher haben die Haftpflichtversicherungen der Unfallverursacher hier eine besonders hohe Motivation für anteilige Kürzungen. Die unzulängliche Behandlung dieses Themas spielt den einstandspflichtigen Versicherern in die Hände, welche sich – teils bewusst, teils unbewusst – in der vorgerichtlichen Korrespondenz auf veraltete Urteile und Fundstellen berufen. Nachdem jeder Unfall in der Retrospektive vermeidbar wäre, erscheinen den Betroffenen und auch vielen Anwälten die Einwände auf den ersten Blick natürlich nachvollziehbar.

 

IV. KURZE SOMMERFAHRT MIT FOLGEN

Wie so oft, gilt aber auch hier: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! So konnten wir in einem aktuellen Fall unserem Mandanten zu seinem vollen Recht verhelfen.

Der Triathlet war an einem heißen Sommerabend auf dem Heimweg vom Schwimmtraining bekleidet mit Helm, Turnschuhen, kurzer Hose, T-Shirt und Sportjacke. Das Schwimmbad liegt im fünf Kilometer entfernten Nachbarort und ist über einen wenig befahrenen Flurweg zu erreichen. Als der Motorradfahrer bereits wieder in der Stadt auf der Vorfahrtsstraße war, fuhr ihm die Unfallgegnerin aus Unachtsamkeit in den Weg. Wie ein Unfallrekonstruktionsgutachten später feststellte, kollidierte er mit einer Geschwindigkeit von ca. 45 km/h mit dem Pkw und flog über dessen Motorhaube hinweg 16 Meter weit. Erstaunlicherweise erlitt der Geschädigte keinerlei Abschürfungen, jedoch zahlreiche massive Knochenbrüche und Quetschungen vor allem am Fuß, im Beckenbereich und an der Schulter.

Die gegnerische Versicherung wandte wegen fehlender Motorradschutzkleidung pauschal eine Mithaftung vondie  1/3 ein und regulierte lediglich eine moderate Zahlung. Im Verfahren beriefen sich die Anwälte der Versicherung sehr ausführlich auf amtliche Statistiken und Empfehlungen der Verbände. Zudem wurde die eingangs erwähnte, überholte Rechtsprechung zitiert. Bezeichnend war hier, dass im Prozess ein Richterwechsel stattgefunden hatte und auch beide mit der Sache befassten Richterinnen anfänglich der Ansicht der Versicherung zugestimmt hatten, bevor sie sich mit dieser Sonderproblematik vertieft auseinandergesetzt hatten.

Hiergegen konnten wir jedoch die Schwachstellen der vorgelegten Studien aufzeigen und die Kausalität des angeblichen Obliegenheitsverstoßes widerlegen. Das Gericht stellte dann letztlich auch die Haftung der Gegenseite zu 100% fest, was sich angesichts der Höhe des kompletten Ersatzanspruches erheblich ausgewirkt hat.

V. FAZIT

Bei Motorrad- und Rollerunfällen erscheint eine Mithaftung wegen fehlender Schutzkleidung auf den ersten Blick logisch. Jedoch wird es bei richtiger Vertretung des Mandanten der Versicherung schwerfallen, diesen Einwand aufrechtzuerhalten. Auch kann nicht jede Körperpartie durch Spezialkleidung geschützt werden, weshalb den nachlässig bekleideten Kradfahrer das Tatbestandsmerkmal Kausalität oft noch „retten“ kann.

Sollte im Einzelfall tatsächlich eine Mithaftung greifen, schlägt sie dennoch nicht in Gänze auf die Schadensersatzansprüche durch. Im Gegensatz zu den Sachschäden gibt es beim Schmerzensgeld keine quotale Kürzung. Vielmehr stellt der Obliegenheitsverstoß hier nur ein Einzelkriterium bei der Berechnung dar, was sich zugunsten des Geschädigten auswirkt. Auch dies wird in der Praxis selbst von Gerichten oft verkannt und zu viel gekürzt.

Sofern jedoch frühzeitig bei der Gegenseite – und oft auch bei den Gerichten – auf eine korrekte dogmatische Sachbehandlung hingewirkt wird, kann dies je nach Schwere der Verletzungen oft einen Unterschied in fünfstelliger Höhe ausmachen.

Ihr Ansprechpartner:

Filip Siegert

Filip Siegert

  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Verkehrsrecht
  • Europajurist